In den letzten zehn bis zwanzig Jahren haben sich einige Branchen wie etwa der Handel erheblich verändert und ihre digitale Transformation vorangetrieben. In hochregulierten Industrien wie dem Finanzwesen und insbesondere der Versicherungsbranche gestaltete sich dieser Prozess jedoch etwas schwieriger. Dies lag vorwiegend an der Vielzahl an Regularien und den sensiblen Kundendaten. Doch auch diese beiden Branchen befinden sich inzwischen auf dem Weg zu „Open Banking“ und „Open Insurance“.
Bei Open Banking bzw. Open Insurance geht es darum, die bisher geschlossenen Systeme mithilfe von standardisierten Programmierschnittstellen zu öffnen. Dadurch können Unternehmen und berechtigte Drittanbieter personenbezogene und nicht-personenbezogene Daten austauschen und so ein größeres Ökosystem von Bank- bzw. Versicherungsdienstleistungen schaffen. Die EU hat mit der Anfang 2016 in Kraft gesetzten Zahlungsrichtlinie PSD2 (Payment Services Directive 2) den rechtlichen Rahmen für die Öffnung des Bankendsektors geschaffen. Mit der FIDA (Framework for Financial Data Access Regulation) hat sie Ende Juni dieses Jahres einen Vorschlag gemacht, der ab 2025 in Kraft treten und dann auch die Versicherungsbranche betreffen könnte. Er durchläuft nun das übliche Gesetzgebungsverfahren der EU, zu dem die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat gehören. Der Prozess wird voraussichtlich 18 Monate in Anspruch nehmen.
Es müssen jedoch einige wichtige Details beachtet werden: Sensible Daten und damit verbundene Versicherungsprodukte wie Lebens- und Krankenversicherungen sind ausgenommen. Auch Bonitätsbeurteilungen sollen nicht in den Geltungsbereich der FIDA fallen. Wie auch bei der PSD2 ist die ausdrückliche Zustimmung der Verbraucher erforderlich, damit ihre Daten geteilt werden dürfen. Zu diesem Zweck sollen Versicherungsunternehmen ihren Kunden eine Möglichkeit zur Verfügung stellen, über die sie die Genehmigung zur Datenweitergabe erteilen und widerrufen können. Der EU-Vorschlag sieht hierfür standardisierte Dashboards vor, denkbar wären aber etwa auch Wallets als technisch modernere Alternative.
Sowohl die Kunden als auch die Versicherungsunternehmen profitieren davon. Für die Verbraucher ist ein solches Dashboard in einer Welt, in der sie sich mehr Kontrolle über ihre Daten wünschen, natürlich ein Vorteil, da es ihnen ermöglicht, die direkte Kontrolle zu zurückzuerhalten. Außerdem könnten die Versicherungsunternehmen ihre Dashboards nutzen, um ihren Kunden weitere Informationen bereitzustellen, etwa bisherige Schadenzahlungen und eine Analyse ihres Schadenverlaufs, ihr Risikoprofil und die Faktoren, aus denen es sich zusammensetzt.
Durch Open Insurance können Verbraucher neben einer einheitlichen Sicht auf ihre Daten und einem besseren Verständnis für ihr individuelles Risiko auch von maßgeschneiderten Angeboten profitieren. Versicherungsunternehmen haben potenziell viel mehr Daten über die versicherte Person, etwa von ihrem Fitnesstracker, oder über den versicherten Gegenstand, wie bei einem Auto durch die Telematikdaten. Das bedeutet, dass die Versicherung die Parameter ihrer Produkte an das tatsächliche Verhalten ihrer Kunden anpassen kann – wer risikofreier lebt oder fährt, zahlt niedrigere Prämien.
Auch für Versicherungsunternehmen bringt das Konzept Open Insurance Vorteile. Sie können ihre Angebote verbessern, indem sie ihre Versicherungsprodukte um weitere Dienstleistungen und Services erweitern und sie stärker auf einzelne Kunden ausrichten (Stichwort „Mass Customization“). Dadurch können Versicherungsunternehmen zu einem integralen Bestandteil des Alltags ihrer Kunden werden. Zudem ermöglicht ihnen Open Insurance, innovativere Softwarelösungen und Anwendungsfälle zu entwickeln und so ihre Kundschaft zu vergrößern.
Langfristig könnte Open Insurance zu einem hochvernetzten digitalen Ökosystem führen, das für alle Beteiligten ein Höchstmaß an Flexibilität bietet. Doch was ist notwendig, damit dies Wirklichkeit werden kann? Zum einen müssen die IT-Systeme in der Lage sein, eine Vielzahl von Anfragen von verschiedenen Endpunkten zu bearbeiten, um gleichzeitig Daten zu verarbeiten, Versicherungsschutz zu gewähren, Ansprüche zu regeln und Zahlungsprozess auszulösen.
Daneben müssen weitere Prozesse digitalisiert werden, wie zum Beispiel der Vertragsabschluss. So ist bei bestimmten Versicherungen wie einer Rentenversicherung eine vorherige Identitätsprüfung erforderlich. Der potenzielle Kunde muss dafür oft noch eine Post- oder Bankfiliale aufsuchen, um seine Identität von Mitarbeitern bestätigen zu lassen. Auch die Unterschrift auf dem Vertrag erfolgt häufig noch handschriftlich und wird anschließend per Post zurückgeschickt. All dies kostet Zeit und entspricht immer weniger den Erwartungen der Kundschaft, die inzwischen nahezu das komplette Leben digital organisieren kann.
Auf die Versicherungsbranche kommen Veränderungen zu. Einige, wie die Digitalisierung ihrer Prozesse, können sie heute schon angehen. Das bietet nicht nur den Vorteil einer verbesserten Customer Experience – sie gewinnen auch Zeit, um sich mit der FIDA auseinanderzusetzen und rechtzeitig Prozesse anzustoßen, um die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen. Damit können sie sich deutliche Wettbewerbsvorteile verschaffen.